Kammergericht hebt Auslieferungshaftbefehl auf

  1. 08. 2020 - Es hätte nicht anders kommen dürfen. Das Kammergericht Berlin hat jetzt – nach mehreren vorangegangenen Haftfortdauerbeschlüssen – einen Auslieferungshaftbefehl aufgehoben, der auf einem Auslieferungsersuchen aus Weißrussland / Belarus basierte. Unser Mandant wurde am 20. August 2020 in Berlin aus der Auslieferungshaft entlassen. Das war lange überfällig.

drastisch defizitäre Haftbedingungen in Weißrussland

Die drastisch defizitären Haftbedingungen (u.a. Haftraumgröße, sanitäre Einrichtungen, Zugang zu Tageslicht und Wasser, Übergriffe von Bediensteten) in Weißrussland sind seit langem bekannt. Trotzdem kann sich die Regierung Lukaschenko nicht darüber beschweren, dass die Deutschen Oberlandesgerichte Auslieferungen von Deutschland an Weißrussland immer sofort ablehnen. Solche spontanen Reflexe sind den meisten Oberlandesgerichten ohnehin fremd. Egal woher das Auslieferungsersuchen kommt, der Verfolgte muss in Deutschland regelmäßig mit seiner Festnahme und anschließender Auslieferungshaft rechnen, bis sich die Oberlandesgerichte davon überzeugen lassen, dass ein Auslieferungshindernis besteht.

Haftbedingungen in Belarus nach landesweiten Protesten

Im Zusammenhang mit den landesweiten Protesten gegen die Wiederwahl des umstrittenen Präsidenten Alexander Lukaschenko hat die Presse bereits am 13. August 2020 von 700 Festnahmen an einem Tag berichtet, insgesamt 6.700 Personen in den letzten Tagen. Die tausenden Festnahmen haben die katastrophale Überbelegung aller Gefängnisse in Belarus noch einmal explosionsartig verschärft. Zuverlässige Zahlen zur Überbelegungsrate der Gefängnisse in Belarus sind ohnehin nicht zu erhalten. Ich weiß aber aus einem Verfahren beim OLG München aus Oktober 2018, dass Belarus dort zugesichert hat, mehr als 2,5 m² Haftraum pro Gefangenem stünden nicht zur Verfügung, womit die generelle Überbelegung auch offiziell bestätigt ist . Nach offiziellen Zahlen gibt es in Belarus 35.720 Haftplätze, so dass bereits die Festnahmen im August 2020 die Überbelegungsrate noch einmal um 20 Prozent hochschnellen lassen.

Haftbedingungen und Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte 

Nach gefestigter Rechtsprechung aller deutschen Oberlandesgerichte hat die Prüfung, ob die Haftbedingungen im ersuchenden Staat Art. 3 MRK  genügen, anhand der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Grundsatzentscheidung aus 2016 aufgestellten Kriterien zu erfolgen. Dazu gehört unter anderem auch, dass dem Verfolgten im Falle seiner Auslieferung dauerhaft mindestens 3 m² Fläche zur Verfügung stehen.  Wenn das nicht vor einer Auslieferung sichergestellt ist, besteht für die deutsche Justiz ein Auslieferungshindernis nach 73 IRG.

Übergriffe durch Gefängnispersonal in Belarus

Die Ereignisse im August 2020 haben auch die Übergriffe und Misshandlungen durch die Polizei und in den Haftanstalten in Belarus mit drastischen Bildern in die Öffentlichkeit gebracht.

Anfragen seitens deutscher Behörden, was dort gegen eine Ausbreitung des COVID-19 Virus in den Gefängnissen getan wird, wurden – wie zu erwarten -nicht aussagekräftig beantwortet.

Rechtsanwalt zu COVID-19 in Gefängnissen

In anderen Ländern mit vergleichsweise besserer Menschenrechtslage in den Gefängnissen sind diese bereits zu den größten „Corona-Hotspots“ geworden. So berichtet die „Neue Zürcher Zeitung“ bereits am 20. Juli 2020 online unter der Überschrift: „Eingesperrt im Massenlager – so sind Gefängnisse zu den größten Corona-Hotspots der USA geworden“ u.a. zu dem Gefängnis San Quentin ungefähr zwanzig Autominuten nördlich von San Francisco, dass zwei von drei der insgesamt 3400 mit Corona infiziert sind. Die fünf größten Infektionsherde in den USA sind danach Gefängnisse.

„Neues Deutschland“ hat bereits am 25.04.2020 zum Thema „Gesundheitsrisiko Gefängnis“ in den USA berichtet, dass in New York City das Coronavirus unter Gefangenen siebenmal schneller um sich gegriffen hat als in der freien Bevölkerung.

Es gibt gar keinen Grund anzunehmen, dass die Covid-19-Situation in Gefängnissen in Belarus besser ist als in den USA. Aber es besteht aller Grund zu der Annahme, dass sich die in Belarus ohnehin schon prekäre Situation in den Gefängnissen dramatisch verschlechtert hat. Häftlinge haben kaum Möglichkeiten, sich vor einer Übertragung zu schützen. Es gibt nicht genügend funktionierende sanitäre Einrichtungen, Desinfektionsmittel, Seife, Masken und Einweghandschuhe.

Rechtsanwalt: Auslieferung an Belarus darf nicht sein

Die jüngeren Entwicklungen in Belarus, insbesondere die Massenverhaftungen von Regierungsgegnern, haben nur noch einmal verdeutlicht, dass eine Auslieferung aus Deutschland an Belarus gar nicht in Betracht kommt. Nach ständiger Rechtsprechung hat die Prüfung, ob die Haftbedingungen im ersuchenden Mitgliedsstaat Art. 3 MRK genügen, immer noch anhand der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Grundsatzentscheidung vom 26.10.2016 (334/13 Mursic ./. Kroatien) aufgestellten Kriterien zu erfolgen. Legt man diesen Maßstab in Belarus sorgfältig an, dann besteht ein Auslieferungshindernis nach § 73 IRG. Oftmals hat Belarus im Auslieferungsverfahren gegenüber Deutschland selber erklärt, dass dort jedem Gefangenen nur 2 m² oder 2,5 m² Haftraum zur Verfügung stehen. Das OLG München hat in einem unserer früheren Fälle Ende 2018 sofort die Konsequenz aus einer solchen Erklärung gezogen und die Auslieferung an Belarus für unzulässig erklärt. Andere Gerichte (zum Beispiel das OLG Frankfurt/Main) waren bisher leider immer noch für eine Auslieferung an Belarus offen, wobei ich die Hoffnung habe, dass auch dort die jüngsten Ereignissen den richtigen Eindruck gemacht haben und ein Kurswechsel herbeibei führen können.

 

 

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