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Über das Justizsystem in Brasilien kann man sich aus den öffentlich zugänglichen Quellen unterrichten, aber auch über die Wirklichkeit in Polizeistationen, Gerichten und Gefängnissen. Dann wird sofort klar, dass es gute Gründe gibt, sich gegen eine Auslieferung an Brasilien mit allen legalen Mitteln und mit Händen und Füßen zur Wehr zu setzen.
Laut Human Rights Watch sind nämlich Foltermethoden in Polizeiwachen und Haftanstalten in Brasilien verbreitet. In den letzten Jahren hätten Sicherheitskräfte und Gefängniswärter laut Human Rights Watch mindestens 64 bekannt gewordene Übergriffe auf Häftlinge begangen und mehr als 150 Polizisten und Strafvollzugsbeamte würden gegenwärtig beschuldigt. Besonders gefährlich sollen die ersten 24 Stunden im Polizeigewahrsam sein. Betroffene müssten nicht selten drei Monate oder länger warten, bis sie überhaupt einem Richter vorgeführt würden.
Zwischen Deutschland und Brasilien besteht kein Auslieferungsabkommen. Nach deutschem Auslieferungsrecht ist aber eine Auslieferung an Brasilien auf vertragloser Grundlage möglich und auch eine Auslieferung nur wegen fiskalischer Straftaten ist nicht von vornherein ausgeschlossen. Mir ist bisher ein Fall einer Auslieferung eines Nigerianers von Deutschland an Brasilien vor vier Jahren bekannt und ein noch anhängiges Auslieferungsersuchen.
Ersuchen um vorläufige Auslieferungshaft können von Brasilien über Interpol gestellt werden, d.h. ein Ausländer kann in Deutschland alleine aufgrund der von Brasilien veranlassten Interpol-Ausschreibung in vorläufige Auslieferungshaft genommen werden.
Die Gesetzeslage in Brasilien sieht auf den ersten Blick besser aus, als die Justiz in der Praxis tatsächlich ist: Auch in Brasilien darf ein Haftbefehl nur von einem Richter erlassen werden. Der Erlass eines Haftbefehls setzt nach dem Gesetz voraus, dass er für den Schutz der öffentlichen Ordnung erforderlich ist oder dass Verdunkelungsgefahr besteht oder Fluchtgefahr. Ein Haftbefehl kann auch zur Sicherung eines Strafverfahrens erlassen werden. In Brasilien gibt es sogar einen umfangreichen gesetzlichen Katalog von Alternativen zur Untersuchungshaft, von der Zahlung einer Kaution über die elektronische Fußfessel bis zum Hausarrest. Gegen einen Haftbefehl kann der Beschuldigte eine Haftprüfung beantragen oder Haftbeschwerde einreichen. Die Verfolgungsverjährung ist in Brasilien nach Fristen von 3 Jahren bis zu 20 Jahren gestaffelt. Der Verurteilte kann ein Gnadengesuch an den Präsidenten der Republik stellen; soweit die offizielle Gesetzeslage.
Ich hatte in meiner Praxis bisher mit zwei Auslieferungsersuchen aus Brasilien zu tun. In einem Fall wurde ein internationaler Haftbefehl aus Brasilien missbräuchlich gestellt, um einen Verfolgten zu bestimmten geschäftlichen Zugeständnissen zu nötigen. Das wurde aber hier bereits während des Verfahrens von der Generalstaatsanwaltschaft erkannt. Missbräuchliche Haftbefehle und Interpol-Ausschreibungen sind vor dem Hintergrund zu sehen, dass in Brasilien die Korruption blüht und dass korrupte Behörden und Beamte eigene finanzielle Ziele bisweilen auch mit dem Druckmittel internationaler Fahndung durchsetzen wollen. Der Haftbefehl kann auch als Instrument eingesetzt werden, um einen geschäftlichen Gegner auszubooten und aus Brasilien zu verdrängen.
Schlagzeilen machen die Zustände in den Haftanstalten in Brasilien. Die Gefängnisaufstände und Revolten der letzten Monate zeigten die menschenunwürdige Situation, der Staat hat schon lange kapituliert und innerhalb der Haftanstalten vielfach Verbrecherbanden das Terrain überlassen (vgl. derstandard.at).
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Rechtsanwälte Dr. Martin Rademacher & Lars Horst, LL. M. - Düsseldorf